Die Einführung von Systems Engineering (SE) hat für entwickelnde Unternehmen viele Vorteile und entwickelt sich bereits in vielen Branchen zum Muss-Faktor. Sie bringt aber auch individuelle Herausforderungen für jedes Unternehmen mit sich. Doch nicht jede Herausforderung muss gleich zu einem großen Hindernis heranwachsen.

Die Produktentstehung steht im Zuge der Digitalisierung vor immer neuen Herausforderungen. Die Entwicklung hin zu cyber-physischen Systemen geht unter anderem mit wachsender Interdisziplinarität, einer steigenden Anzahl an Schnittstellen und immer komplexer werdenden Anforderungen bei gleichzeitig kürzer werdenden Entwicklungszeiten einher. Das zwingt entwickelnde Unternehmen dazu, ihre Methoden und Prozesse an die veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. SE hilft dabei, ein ganzheitliches Systemverständnis zu schaffen und die wachsende Komplexität zu beherrschen. Doch um die Vorteile von Systems Engineering auszuschöpfen, gilt es zunächst die Herausforderungen für eine erfolgreiche Einführung zu bewältigen. Wir stellen 5 der größten Herausforderungen vor:

1 Schlecht quantifizierbarer Nutzen

In der Studie „Systems Engineering in der industriellen Praxis“ wurden Unternehmen befragt, welche Hindernisse sie für die Anwendung von SE in ihrer Organisation sehen. Als Haupthindernis nannten 31% der Interviewten, dass der Nutzen von SE nicht ausreichend quantifizierbar sei. Gerade zu Beginn eines Projekts bedeutet SE einen höheren Aufwand und der generelle Nutzen ist zwar für viele Beteiligte verständlich, aber nur schwer mit konkreten Kennzahlen zu belegen. Vorhandene Untersuchungen zum Thema sind eindeutig, diese im eigenen Unternehmen nachzubilden würde jedoch viel Zeit in Anspruch nehmen. Das stößt gerade im Management immer wieder auf Skepsis und die Bereitschaft Geld und Personal zu investieren ist gering. Mehr als die Hälfte der Befragten antworteten jedoch auch, dass sie glauben, die Anwendung von SE-Methoden und -Denkweisen bei der Entwicklung komplexer Systeme bringe langfristig eine verbesserte Planungs- und Steuerungssicherheit als auch eine gesteigerte Systemqualität.

2 Fehlendes Expertenwissen und Einführungsmethoden

Die Einführung von SE setzt immer ein gewissen Grad an Know-How und auf das Unternehmen zugeschnittene Methoden voraus. Vielen fällt es schwer, zu erkennen, welche Methoden an welcher Stelle Sinn ergeben und welches der beste Zeitpunkt für einzelne Veränderungen ist. Es entsteht das Gefühl, dass der SE-Ansatz für das eigene Unternehmen oder Produkt nicht geeignet ist, was jedoch in den seltensten Fällen stimmt. An diesem Punkt kommt das fehlende Expertenwissen ins Spiel. Weiterbildungen für die Mitarbeiter sind kosten- und vor allem zeitintensiv und das Ingenieursstudium reicht häufig nicht aus, um interdisziplinären Anforderungen gerecht zu werden. Das führt dazu, dass es innerhalb des eigenen Unternehmens nur wenig bis gar keine SE-Experten gibt, mit deren Hilfe eine Einführung umgesetzt werden kann.

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3 Starre Strukturen und Prozesse

Insbesondere in großen Unternehmen sind Abteilungen und Prozesse fest verankert. Die Trennung der Entwicklungsabteilungen erfolgt dabei oftmals klassisch nach den Disziplinen Maschinenbau, Elektronik, Softwaretechnik. Neben diesen starren vertikalen Strukturen erschweren horizontale Hierarchien Entscheidungsprozesse. Dadurch können sich sowohl die Einführung neuer Methoden oder Tools als auch die Veränderung von Organisationsstrukturen stark verzögern. Zudem ist es häufig nicht möglich, bestehende Prozesse einfach im Rahmen der SE-Einführung zu ersetzen. Ganz im Gegenteil: All diese Faktoren bilden Rahmenbedingungen innerhalb derer SE-Ansätze integriert werden können. Eine erfolgreiche Veränderung in diesem Umfeld benötigt intensives Change Management. Dies gilt es, neben den fachlichen Aspekten des Systems Engineerings, in der Planung zu berücksichtigen.

5 Herausforderungen, die es zu meistern gilt
Graphik: © Adobe Stock
4 Silodenken

Im Allgemeinen ist das Engineering heutzutage immer noch geprägt von disziplinspezifischem Denken – auch bedingt durch die starren Organisationsstrukturen. Jede Abteilung beschäftigt Spezialisten auf dem jeweiligen Gebiet. Das Wissen über die eigene Disziplin hinaus ist dagegen eher gering. Um ein komplexes System mithilfe von SE erfolgreich einzusetzen, ist es wichtig, dass die Beteiligten zusätzlich zu der Expertise in ihrem Fachbereich ein ganzheitliches Systemverständnis entwickeln und das Denken in Silos aufgebrochen wird. Dabei steht sowohl die interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb eines Unternehmens als auch über die Unternehmensgrenzen hinaus im Fokus. Ist solch eine Zusammenarbeit in der Unternehmenskultur nicht fest verankert, kann das Potential von SE nicht voll ausgeschöpft oder im schlimmsten Fall sogar die SE-Einführung scheitern. Kleine Unternehmen setzen häufig mehr Generalisten statt Spezialisten ein und sind dadurch etwas im Vorteil.

5 Parallele Umstrukturierung

Zu guter Letzt stehen die Unternehmen bei der Einführung vor der großen Herausforderung, die bereits genannten Aspekte parallel zu managen. Neben dem zeitlichen Aspekt, die richtigen Veränderungen zum richtigen Zeitpunkt anzustreben, gilt es, Akzeptanz sowohl bei den Mitarbeitern als auch vielen weiteren Stakeholdern (Management, Entwicklungspartner, …) zu schaffen. Ein Wandel der Unternehmenskultur ist dann in vielen Fällen unverzichtbar – geeignete Change Management-Techniken spielen hier eine große Rolle. Hilfreich kann es beispielsweise sein, die Einführung sowohl über einen Bottom-up- als auch einen Top-down-Ansatz zu steuern, um Mitarbeiter und Management gleichermaßen mit einzubinden. Für jeden, der sich auch mit einer dieser Herausforderungen oder vielleicht auch ganz anderen SE-bezogenen Fragestellungen konfrontiert sieht, bieten wir auf SElive kostenlose Webinare zum Thema SE an. Jedem der tiefer in das Thema einsteigen möchte, können wir die Schulungen der Fraunhofer IEM Academy empfehlen.

Einführung Grundlagen Methode

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Autor*in des Beitrags: Lukas Bretz Fraunhofer IEM
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